Sonnenschein
Aufgeregt war sie. Genau wie damals. Wenn sie die weiße Hose noch gehabt hätte, hätte sie diese heute wieder angezogen. Sie wählte ein schlichtes Kleid, sommerlich. Vor ein paar Jahren hat es an diesem Tag geregnet.
Am 16. Juni regnete es feine Bindfäden. Dieses Jahr jedoch zeigte sich der Frühsommer von seiner besten Seite.
Sie stand an der Ecke, genau an der Ecke auf der Brücke. Diesmal war sie es, die zuerst da war und einen kleinen Strauß mit Sonnenblume in der Hand hielt.
Da die Sonne nicht scheint, habe ich dir ein wenig Sonne mitgebracht, hatte er zu ihr gesagt. Seine Worte hatten sie berührt.
Es war erst halb sechs. Viel zu früh. Mit dem Strauß in der Hand stand sie da und wartete, genau wie er damals. Sie beobachtete die Passanten. Sie sahen alle irgendwie schön aus, schöner als sonst.
Sechs Uhr rückte näher. Das war die verabredete Zeit für ihr erstes Treffen gewesen. Ab und zu schaute sie auf die Uhr. Wenn er kommt, ist es für immer.
Eine ganze Stunde wartete sie in dem Gefühl von Sehnsucht und der Gewissheit, dass sie vergeblich wartete.
Ihr Gefühl hätte sie niemandem beschreiben können, als sie schließlich mit dem kleinen Strauß langsam zum Restaurant am Wasser ging. Genau wie vor ein paar Jahren setzte sie sich ans Fenster und beobachtete von dort aus die Boote.
Der Kellner reichte ihr eine Vase für ihren kleinen Strauß und fragte, ob sie noch jemanden erwarte.
Ja, dachte sie und sagte ihm, nein sie werde allein speisen.
Auch das Pasta-Gericht gab es noch auf der Karte. Sie bestellte es, wählte einen Weißwein und ließ ihr Gespräch aus der Erinnerung noch einmal in Gedanken erklingen. Worüber hatten sie bei ihrer ersten Begegnung gesprochen? Nichts Wichtiges, nur ein behutsames Annähern.
Sie saß im Restaurant, bis die Sonne fast am Horizont verschwunden war. Sie saß da, allein mit dem kleinen Strauß, den sie ihm am heutigen Abend nicht schenken konnte. Sie zahlte.
Eine Weile lief sie in der Abenddämmerung am Wasser entlang und dachte dabei an ihn. Sie lief bis zur Brücke. Er hatte nicht gewusst, dass sie heute an der Brücke stand. An derselben Stelle. Er hatte es nicht gespürt. Selbst wenn er es gespürt hatte, er war nicht gekommen.
Mit Schwung warf sie den kleinen Strauß ins Wasser und sah, wie er an der Oberfläche davontrieb.
Langsam schlenderte sie in der Dunkelheit nach Hause, während ein kleiner Strauß mit Sonnenblume das Gestern hinaus in die endlose Weite des Meeres trug.
Birgit Puck