Wahre Talente

Theaterstück in Kurzform mit drei Szenen in einem Akt

von Birgit Puck

Die Personen: 

Georgio (alias Helmut Schmitt aus Goslar), Gelegenheitsarbeiter und Schriftsteller, Anfang vierzig, groß, schlank, unrasiert, löchrige Jeans, verwaschener Pulli, beim Schreiben trägt er Lesebrille mit Fenstergläsern

Carla, seine Frau, Hausfrau, etwa gleiches Alter

Paul, ihr gemeinsamer Sohn, Gymnasiast, 18 Jahre

Frank, Georgios bester Freund, klein und schmächtig, Ende 30, Börsenspekulant und Weinhändler

Tatjana, Au-pair-Mädchen aus Kasachstan, 19 Jahre, spricht Deutsch mit Akzent

Erste Szene

Szenerie: unordentliches Arbeitszimmer, am Computer sitzt Georgio

Stimme vorwurfsvoll: Georgio, es ist gleich halb sieben!

Georgio reagiert nicht, tippt unbeirrt weiter und saugt an kaltem Zigarillo.

Stimme lauter: Sieh zu, dass du in die Strümpfe kommst!

Georgio tippt murmelnd weiter: Sie riss ihn zu Boden. Endlich, stöhnte sie, endlich bist du bei mir, meine Schenkel…

Die Tür wird aufgerissen. Wutentbrannt betritt Carla das Zimmer.

Ich zieh’ den Stecker raus! Ich will nicht schon wieder, dass du den Job verlierst, nur wegen dieser dämlichen Schreiberei.

Georgio resignierend: Wenn du ein bisschen was von Literatur versteh’n würdest. (Rückt seine Lesebrille zurecht). Nun hast mit deinem hysterischen Gehabe den roten Faden abgeschnitten. Gerade wo’s erotisch wurde.

Carla: Was verstehst du denn schon von Erotik? Und was soll diese dämliche Brille überhaupt? Sei froh, dass du keine brauchst.

Georgio (legt den kalten Zigarillo in den Aschenbecher): Manchmal frage ich mich…

Carla, baut sich vor ihm auf: Was? Sprich’s ruhig aus.

Georgio: Ach, nichts, ist schon gut.

Carla resolut: Du kommst zu spät in die Küche.

Georgio: Da haben wir’s mal wieder. Du denkst nur an dich. Damit du dir ja den feinen Ziegenkäse kaufen kannst, den sauteuren. Und dem Paul die Scheine in den Hintern schieben. In der Küche stehen ist nun nicht gerade mein Traumjob.

Carla abwehrend: Schließlich ist Paul auch dein Sohn. Mit 18, da braucht er ein bisschen Taschengeld, damit er in die Disco kann. So wie die andern Jungs eben. Wenn er nicht so’n faulen Vater hätt’, könnte er in den Ferien Sprachurlaub machen, wäre gut für sein Englisch.

Georgio: Ich hab’ nie verlangt, dass der Junge Abitur macht.

Carla zieht wütend das Kabel aus der Steckdose.

Georgio: Man gut, dass ich es gespeichert hab‘. (steht auf) Wenn hier einer faul ist, ist das ja wohl dein Sohn. Ich schreib’ mir den ganzen Tag die Finger wund, geh’ abends als Küchenhilfe in dieses beschissene Restaurant, nur, weil du das willst. Sollte mal der Paul einen Job suchen, alt genug ist er.

Carla scheucht ihn aus dem Zimmer: Mach dich vom Acker!

Georgio geht.

Carla empört zu sich: Abschiedskuss gibt’s auch nicht mehr. Behauptet aber, er versteht was von Erotik, Dass ich nicht lache. (lacht gekünstelt) Ha, ha, ha! Worauf hab‘ ich mich nur eingelassen. Ich blöde Kuh, hätte damals den Sohn vom Senator heiraten können. (räumt nebenbei auf) Der war Architekt. Sah zwar scheiße aus, aber wenn man im Bett das Licht ausmacht. Statt dessen heirate ich ’nen Germanistik-Studenten. Geboren in Goslar. Das konnte nichts werden. Hätt’ ich mir denken können, so’n Kleinstädter bringt es zu nichts. Der Kleinstadtmief hat sich schon im Baby-Alter ins Hirn gefressen. (äfft mit tiefer Stimme Georgio nach) Der Ministerpräsident kam auch aus Goslar.
(wieder in ihrer Stimmlage). Hat ihm nichts genützt. Ist schon wieder weg vom Fenster. Ich sag’s ja, Kleinstädter fallen immer wieder auf die Schnauze. Selbst wenn sie den Thron mal erklommen haben. Der Ex-Ministerpräsident nennt sich jedenfalls nicht Georgio. Wer mit dem Namen Helmut kein berühmter Schriftsteller wird, schafft es unter Georgio erst recht nicht… (stoppt ihren Redefluss)

Paul steht bereits eine Weile unbemerkt ins Zimmer.

Paul flapsig: Erst spricht man mit sich selbst. Dann werfen sie Erde auf dich.

Carla erschrickt: Mal nicht den Teufel an die Wand, paar Jährchen werd‘ ich wohl noch haben, bevor’s in die Grube geht. Brauchst uns doch noch, Paul. (versucht, ihm über die Haare zu streichen, Paul weicht aus)

Paul: Mama, heute ist doch Samstag.

Carla (versteht, tut aber so, als ob sie nicht versteht): Ja, warte mal. Denk schon.

Paul: Mutti, nun komm schon. Tu nicht so. (sieht sie bittend an). Der Sascha und der Leon gehen heute Abend in den Club.

Carla (ignoriert Pauls Blick und räumt geschäftig Bücherstapel zur Seite): So, so.

Paul: Da spielen die Red Hunters.

Carla: Kenn ich nicht.

Paul: Sind absolute Newcomer.

Carla reagiert nicht, statt dessen: Aus meiner Haushaltskasse fehlt ein Zwanziger. Den hast du nicht zufällig gesehen?

Paul (langsam ärgerlich, weil sie blockt): Ich hab‘ die Kohle nicht. Wenn ich sie hätte, würde ich hier nicht stehen und um Geld bitten.

Carla: Bislang hast du mich um nichts gebeten. Woher soll ich wissen, dass du Geld willst?

Paul (sauer): Soll ich hier auf den Knien vor dir herrobben und dich um Kohle anflehen.

Carla (lacht): Das wär doch mal ’ne Show.

Paul: Dann fahr’ ich eben bei Papa vorbei und frag den.

Carla: Versuch es. Der wird nichts haben. Der hat heute sein letztes Geld für Porto ausgegeben. Mindestens zwanzig Manuskripte hat er verschickt. (murmelnd) Will eh keine Sau haben. Wahrscheinlich hat er sich auch noch den Zwanziger genommen.

Paul (lümmelt sich aufs Sofa): Mama, ich brauch nur zwanzig.

Carla (nun ebenfalls ärgerlich): Ich sag doch, die fehlen aus meiner Kasse. Ich hab‘ nichts.

Paul: Andere Mütter arbeiten.

Carla (schreit fast): Andere Mütter haben auch nicht so einen Bekloppten zu Hause, auf den sie immer aufpassen müssen, dass er zur Arbeit kommt.

Paul (steht auf): Es hat dich keiner gezwungen, einen Schriftsteller zu heiraten. Eines Tages wird schon jemand sein Talent erkennen.

Carla (zynisch): Sein Talent für was?

Paul zuckt die Achseln.

Carla allein, rennt hektisch hin und her, die Tür öffnet sich, Paul steckt noch mal mit dem Kopf durch den Türspalt.

Paul: Eh, ich es vergess‘. Frank hat angerufen. Er will nachher vorbeikommen. Hat wohl ’ne neue Flamme.

Carla: Will vermutlich nur jammern. Wahrscheinlich hat ihn die Dame zweimal gegrüßt und er bildet sich ein, dass sie bis ins hohe Alter seine Händchen halten wird.

Paul: Vielleicht sitzt ihm auch bloß mal wieder ein Furz quer und er hat das Bedürfnis, dir den Krankheitsverlauf bis ins Detail zu schildern. (verschwindet wieder)

Carla: Warum kommt Frankie eigentlich immer zu mir, um sein Herz auszuschütten. Soll er doch mal den Helmut volltexten. Schließlich ist der sein bester Freund. Jedenfalls behauptet Frank das immer.

Es klingelt. Carla ab, man hört Stimmen, herein kommen Frank und Carla. Frank hält Weinflasche in der Hand.

Carla betont freundlich: Setz dich aufs Sofa. (sieht auf die Uhr) Um diese Zeit kann man schon Wein trinken, oder? Ich hol schnell ’nen Korkenzieher und zwei Gläser. Bisschen was zu Knabbern wär‘ auch nicht schlecht. (Carla ab)

Frank stellt die Weinflasche auf den Schreibtisch, blättert neugierig in einem Stapel Papieren, liest, grinst: Mannomann, so viel Phantasie hätte ich ihm gar nicht zugetraut. In wilder Gier wälzen Sie sich am Boden, unter Stöhnen und Schreien zerdrücken sie Berge von Tomaten, der rote Saft breitet sich aus. Die Gemüsehalle (kichert) versinkt in den Schenkeln. (kichert, Carla kommt mit Tablett rein, er legt hektisch die Blätter auf den Schreibtisch zurück)

(Carla schüttet Chips in eine Schale, schaufelt das Sofa frei von Papieren und Büchern, stellt Gläser hin und gibt Frank den Korkenzieher. Sie setzen sich.)

Carla: Wenn man von sich denkt, man sei das große Schreibgenie heißt das noch lange nicht, dass man überall Chaos verbreiten muss, find‘ ich. Aber bring‘ das mal deinem lieben Freund bei. Naja, du hast wenigstens deinen Weinhandel.

Frank (unterbricht sie): Und einen Haufen Schulden. (öffnet die Weinflasche und gießt ein)

Carla: Hast du selbst verbockt. Du mit deinem Börsenfieber. Was is’n das für’n Wein?

Frank: Barbaresco. Piemont. Reinsortig Nebbiolo. Zum Wohl. (hebt das Glas)

Carla: Klingt gut.

Frank: Schmeckt auch gut.

Carla: Worauf trinken wir?

Frank: Auf die Liebe.

Carla (mürrisch): Wenn’s denn sein muss. (sie trinken, kurze Schweigepause) Warum bist du eigentlich hier? Fehlt dir was?

Frank: Nö. Wieso?

Carla (ironisch): Vielleicht eine leichte Übelkeit? Oder ein wenig Diarrhö?

Frank (leicht verärgert): Willst du mich auf den Arm nehmen?

Carla: Würde ich nie wagen.

Frank: Scheint mir aber so.

Sie trinken. Frank rülpst laut.

Frank: Oh, Verzeihung.

Carla (sieht ihn strafend an): Also, was führt dich hierher?

Frank (geheimnisvoll): Mein Leben hat sich geändert.

Carla: Du hast eine Million an der Börse verdient?

Frank: Ich bin verliebt.

Carla: Das ist ja mal was ganz Neues.

Frank (beleidigt, fast sich demonstrativ an sein Herz): Du nimmst mich nicht Ernst.

Carla: Frankie, du bist jede Woche verliebt, immer in eine andere. Wie alt?

Frank: Alt genug.

Carla: Sechzehn?

Frank: Neunzehn.

Carla: Sagt sie.

Frank: Sie muss mindestens achtzehn sein. Sonst hätte sie nie eine Stelle als Au-pair bekommen.

Carla: Ne Ausländerin? (kichert) Die versteht wenigstens nicht den Müll, den du den ganzen Tag zusammenquatscht.

Frank (überhört die bissige Bemerkung, stolz): Sie spricht sehr gut Deutsch. Kommt aus Kasachstan. Sie hat Deutsch in der Schule gelernt. Sie ist bald zehn Monate hier. Es ist erstaunlich, wie leicht manche Leute eine Fremdsprache lernen. Da ist sie ein richtiges Naturtalent.

Carla: Zehn Monate ist sie hier? Da läuft ihre Zeit in Deutschland bald ab. Pass auf! Die sucht ‘nen Heiratskandidaten, damit sie sich hier ins gemachte Nest setzen kann.

Frank: Gar nicht.

Carla: Klar doch. Brauchst nur den Tim zu fragen. Der ist bei der Ausländerbehörde, hat jeden Tag mit Scheinehen zu tun. Die wollen nur eine Aufenthaltsgenehmigung. Die gehören alle observiert.

Frank: Blödsinn. Du kannst doch nicht jedem kriminelle Energien unterschieben.

Carla: Na, und? Die wenigen reichen, um misstrauisch zu werden.

Frank: Deine Sicht ist echt begrenzt. Nicht sonderlich intelligent.

Carla: Wenn du hier rumpöbeln willst, kannste gleich wieder in deinen Weinhandel gehen.

Frank: Wie soll ich mich denn mit geschäftlichen Dingen belasten, wo gerade die große Liebe vor der Tür steht? (fasst sich ans Herz)

Carla (fasst sich auch ans Herz und äfft ihn nach): Oh, die große Liebe! Ja, wie kannst du dich mit so profanen Dingen wie Geldverdienen belasten, wo es dir jetzt die russische Sprache angetan hat.

Frank: Glaub mir: Ich habe meine Traumfrau gefunden.

Carla: Okay. (leert den Rest der Flasche in die Gläser, sie prosten sich zu, kurzes Schweigen).

Frank (rülpst): Entschuldigung.

Carla (hebt die leere Flasche): Ist alle. Hast du noch was?

Frank (schüttelt den Kopf): Im Geschäft. Wusste ja nicht, dass du so viel trinkst.

Carla: Na dann, geh ich mal in den Keller.

Carla ab.

Frank (erhebt sich, steuert auf den Schreibtisch zu, wühlt in Zetteln, liest): In rhythmischen Bewegungen perlte der Tomatensaft von ihren Körpern. Sie stöhnten vor Lust. Ihre Körper klatschten hart aufeinander. (Frank hält inne, kratzt sich am Sack, atmet tief durch, fasst sich ans Herz). Wenn es das aushält, müsste ich die Nummer mit Tatjana probieren. Nur wo? Wo soll ich die notwendigen Tomaten hernehmen? Vielleicht könnte mir Georgio ein paar Küchenabfälle mitbringen. (Fasst sich in die Hose).

Carla kommt. Reicht Frank die Flasche. Frank entkorkt und gießt ein.

Frank: Oh! (liest das Etikett). Seit wann habt ihr solche Schätze im Keller?

Carla (gleichgültig): Seit Helmut in der Küche eines Nobelrestaurants arbeitet.

Frank: Geklaut?

Carla (schüttelt energisch den Kopf und zeigt ihm einen Vogel): Wir sind ehrliche Leute.

Sie setzen sich wieder aufs Sofa.

Carla (leicht lallend): Also ’ne Kasachin soll’s jetzt sein. Ist sie hübsch?

Frank: Wirst du selbst sehen. Sie holt mich hier ab.

Carla (erhebt sich schwerfällig): Noch ein Fläschchen? Hab‘ vorhin noch einen Prosecco ins Eisfach gelegt. Der müsste eigentlich kalt sei. Ich geh’ ihn holen. (ab)

Frank nähert sich leicht schwankend dem Schreibtisch, sucht nach dem Manuskript.

Frank (undeutlich): Muss doch wissen, wie’s weiter geht (liest wortlos, grunzt zwischendurch und pfeift anerkennend).

Carla kommt polternd herein. Frank legt schnell das Manuskript fort.

Frank: Das ging ja schnell.

Carla (prustend, reicht Frank die Flasche): Wenigstens etwas, was ich schnell kann. Wein holen. Komm Carla, hol Wein. Wuff! (Tut so, als ob ihr Arm ein Schwanz sei, hält ihn ans Hinterteil und wedelt.
Frank lacht, öffnet die Flasche, schenkt ein, sie prosten sich zu, trinken. Prosten sich wieder zu trinken. Kichern albern. Vorhang fällt.

Zweite Szene

Jugendzimmer von Paul.

Frauenstimme: Das hätte ich nicht gedacht. Sieh dir das an. Am frühen Abend völlig betrinken.

Paul (korrigiert): Betrunken.

Frauenstimme (schimpfend): Dass sie sind betrinken am frühen Abend.

Paul (betont): Betrunken. Das heißt betrunken, nicht betrinken.

Die Tür öffnet sich. Herein kommen Paul und Tatjana.

Tatjana: Ist egal, ob betrinken oder betrunken. Ich sage, es ist schlecht, wenn alte Menschen so viel Alkohol trinken.

Paul: Hoppla! Ich höre alte Leute. Sei froh, dass das meine Mutter nicht hört. Frank wäre sicherlich auch ziemlich entsetzt, wenn du ihm sagst, er sei mit Ende dreißig ein alter Mann. Ich denke, Frank ist dein Freund.

Tatjana (beruhigt sich wieder): Ist er auch. Verstehst du, warum ich ärgerlich bin? Erst sagt Frank, wir machen heute einen schönen Abend. Ich habe frei, muss nicht auf die Kinder aufpassen. Ich habe mich sehr gefreut. Und nun ist Frank betrunken. Richtig?

Paul (nickt): Ja, betrunken ist korrekt. (legt seine Hand auf ihre Schulter). Dann bleibst du ein bisschen bei mir. (geht verlegen durchs Zimmer, legt CD ein, sanfte Klänge ertönen). Gefällt dir die Musik?

Tatjana: Ja.

Paul: Ich kann ’ne andere CD reinschieben.

Tatjana: Gefällt gut.

Paul: Gefällt mir gut.

Tatjana: Dir auch?

Paul (setzt sich seufzend): Ja, mir auch.

Pause.

Paul: Gefällt es dir in Deutschland?

Tatjana: Ja. Warum fragst du?

Paul: Nur so.

Pause.

Paul: Und Frank? Ich hab‘ vorhin an der Tür gelauscht. Ich hab‘ gehört, wie sich meine Mutter mit Frank unterhalten hat. Frank ist verliebt in dich. Weißt du das?

Tatjana: Natürlich. Das merkt eine Frau doch.

Paul: Und?

Tatjana: Was und?

Paul (verlegen): Naja, ich meine…

Tatjana (unterbricht): Sag ruhig, was du denkst. Ich habe vor Fragen keine Angst. (stolz)

Paul (macht mit den Händen ein Zeichen für Beischlaf): Hast du es mit Frank schon gemacht?

Tatjana lacht.

Paul (ungeduldig): Sag, habt ihr oder habt ihr nicht.

Tatjana: Nein.

Paul: Wirst du es denn tun?

Tatjana zuckt die Achseln: Ich denke, ich werde es bald tun.

Paul: Nur damit du in Deutschland bleiben kannst?

Tatjana: Nein. Mir gefallen Frank:

Paul (korrigiert): Singular. Das heißt gefällt.

Tatjana: Gut. Frank gefällt mir.

Paul: Aber nicht so richtig? Du bist nicht richtig verliebt in ihn.

Tatjana: Das spielt keine Rolle. Oder denkst du, dass deine Eltern sich lieben?

Paul: Weiß ich nicht. Früher haben sie sich geliebt.

Tatjana: Liebe kann man lernen. Es entwickelt sich langsam ein Gefühl, man hat Verantwortung für einen anderen Menschen, man achtet ihn und dann liebt man ihn auch.

Paul (energisch): Du liebst Frank nicht. Wenn man jemanden nicht liebt, dann schläft man nicht mit ihm.

Tatjana (lacht ihn aus): Wie erklärst du dir die Prostituierten? Die lieben die Männer nicht.

Paul: Die denken eben nur ans Geld. Das ist Geschäft, das zählt nicht (stockt). Für dich ist Frank auch ein Geschäft. Er heiratet dich und du kannst in Deutschland bleiben, tolle Nummer!

Tatjana (beleidigt): Ich mag ihn. Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn heiraten will.

Paul: Aber gedacht.

Tatjana: Jeder denkt, was er will. Du kannst auch von mir denken, was du willst. Am besten ist, ich gehe.

Paul (springt auf): Nein. Entschuldigung. Ich hab‘ das nicht so gemeint.

Pause.

Tatjana: Was ist mit dir? Hast du es getan?

Paul (verlegen): Nee.

Tatjana: Warum nicht?

Paul: Vielleicht war ich noch nicht richtig verliebt.

Tatjana:

Ich sagte doch. Dafür muss man nicht verliebt sein.

Paul: Das seh‘ ich anders.

Tatjana (steht auf, nähert sich Paul von hinten, fasst seine Schultern): Was tust du, wenn du Lust hast? (ihre Hände bewegen sich über den Brustkorb Richtung Hose). Ich meine, du hast ganz große Lust auf Sex.

Paul (befreit sich aus seinem Griff, schreit fast): Dann geh ich und wichs ins Klo. Zwei-, dreimal hintereinander. Da brauch‘ ich keine Frau. Das kann ich selbst.

Tatjana (geht auf ihn zu): Mit eine Frau…

Paul (unterbricht): Einer, mit einer Frau. Dativ.

Tatjana (hört nicht hin, zieht zu sich heran, schiebt ihr Bein zwischen seine Beine): Spürst du es. Jetzt würdest du es gern machen. Egal, Liebe hin oder her.

Paul (stöhnend): Niemals

Er zieht Tatjana Richtung Bett. Durch die Tür hört man die Stimmen von Carla und Frank.

Carla: Vielleicht ist sie bei Paul. Die zwei wollten uns wahrscheinlich nicht stören. Der Paul ist ein richtiger Computer-Freak. Sicherlich hat er das Mädchen längst in die Welt der Spiele entführt.

Tatjana und Paul liegen unter der Bettdecke.

Tatjana: Paul schneller (sie stöhnt). Gut so, weiter, ich komme gleich (unterdrückt ein Quietschen).

Paul springt aus dem Bett, zieht hastig die Hose hoch, stürzt zum PC. Tatjana zieht sich ebenfalls hektisch an und stellte sich neben den PC.

Carla betritt das Jugendzimmer: Siehst du, Frankie. Ich kenne doch meinen Sohn Paul.

Frank geht auf Tatjana zu. Er ist ein ganzes Stück kleiner als sie. Tatjana hält ihm lächelnd die Wange hin. Frank küsst sie brav.

Frank (zärtlich): Jana hat so viele Talente. Ihr Sprachtalent, sie kocht sehr gut und mein Schatz kennt sich mit der virtuellen Welt aus. Nicht wahr?

Tatjana (mädchenhaft, bescheiden): Nur ein bisschen. Paul zeigt mir alles. Er kann das sehr gut.

Carla: Da habt ihr euch wenigstens ein wenig beschäftigen können, während wir (sie lacht), naja, ein wenig, wie soll ich sagen?

Frank: Ein kleines Nickerchen gemacht haben.

Carla: Genau. (kichert) Wie gut, dass unser lieber Georgio das nicht mitbekommen hat. Der hätte richtig Stunk verzapft, so nach dem Motto, er rackert sich für die Familie ab und die liebe Familie horcht an der Matratze. Dabei haben wir gar nicht gehorcht. (kichert). Wir haben ganz friedlich auf dem Sofa gesessen und ein wenig die Augen geschont. Und was würde der werte Papa und verkanntes Schreibtalent sagen?

Carla und Paul im Chor: Wie oft habe ich euch schon gesagt, ich bin kein Tellerwäscher, ich bin ein Schriftsteller. (Mutter und Sohn lachen herzhaft)

Frank (pikiert): Über Abwesende wird nicht gelästert. (an Tatjana gewandt) Wir könnten ja bei Georgio im Restaurant einkehren, eine Kleinigkeit essen und eventuell einen Plausch mit ihm halten, falls ihn die Küche nicht zu sehr in Anspruch nimmt.

Paul: Er ist nicht immer in der Küche. Manchmal kellnert er auch.

Frank: Wir werden sehen. (kratzt sich am Kopf) Bei meinem verkäuferischen Talent könnte ich natürlich auch dem Inhaber gleich ein paar Weine verkaufen. Mein Schuldenberg würde sich darüber sicherlich ebenfalls freuen. (an Tatjana gewandt) Komm, wir gehen.

Frank und Tatjana winken zum Gruß, gehen erhobenen Hauptes ab. Carla schüttelt Pauls Bettdecke auf.

Carla (Kopf schüttelnd): Alles zerwühlt hier. (mehr zu sich) Junge, du musst dir angewöhnen morgens die Bettdecke aufzuschütteln. Sonst hast du eines Tages nur noch einen Klumpen, die Federn können leicht verkleben. (streicht die Bettdecke glatt) Was habt ihr denn gemacht? Ich meine du und die Tatjana. Hübsches Mädchen, bisschen jung für den Frankie.

Paul (stotternd): Nichts Besonderes. Internet und so.

Carla (ermahnend): Hoffentlich nicht so’n Schweinkram. Es gibt nämlich jede Menge Schweinkram im Netz, kriminellen Schweinkram mit Pornos. Da tummelt sich der wahre Abschaum der Menschheit. Ist nix mehr wert, die Moral. Von Ethik will niemand mehr was wissen. Da wird gelogen und betrogen. Ehen werden nach kurzer Zeit geschieden, kannst froh sein, dass du in einer intakten Familie aufgewachsen bist. Dein Vater hat zwar mit seiner Schreiberei so’n kleinen Knall, sonst ist er ein guter Mensch. Wer Helmut heißt, wird kein Schriftsteller. Oder hast du von einem berühmten Schriftsteller gehört, der Helmut heißt?

Paul: Helmut Kohl.

Carla: Der War doch kein Schriftsteller.

Paul: Der hat aber ein Buch geschrieben und berühmt ist er auch. (sieht auf die Armbanduhr) Wart’s ab, eines Tages kommt auch für Papa der Tag (gibt ihr einen Kuss auf die Wange) Chiao, ich geh‘ jetzt zu Leon, später in die Disco.

Carla: Ich denke, du hast kein Geld.

Paul (im Hinausgehen): Ich leih‘ mir was von Leon. (ab)

Carla (seufzend): So jung und Schulden machen. Oje, wenn der Helmut dem Jungen wenigstens ein Taschengeld zahlen könnt‘. Für Mädchen scheint er sich auch nicht zu interessieren, war noch nie eine da, in seinem Zimmer, außer der Tatjana (stockt, geht zum Bett, schlägt es auf, untersucht es nach Sperma-Spuren, streicht über das Laken, riecht an ihren Fingern). Na, ich weiß nicht, ist doch die Frau vom Frankie, bei diesen Ausländern weiß man natürlich nie.

Dritte Szene

Im Restaurant. Spartanisch eingerichtet. Leise klassische Musik im Hintergrund. Georgio hinter einem Tresen. Trocknet Gläser.

In der Nähe des Tresen steht ein Tisch, an dem Tatjana und Frank sitzen. Frank hält Tatjanas Hand. Georgio kommt mit einer Flasche Rotwein und hält sie Frank unter die Nase.

Georgio: Ist zwar nicht von dir, aber dennoch ein gutes Tröpfchen.

Frank (studiert das Etikett): Gut. Mach auf! Wie teuer.

Georgio: 59 Euro.

Frank (stößt einen Pfiff aus): Mit wie viel Prozent ist der kalkuliert?

Georgio: Weiß nicht. Ich kenne die Preise vom Chef nicht.

Frank (geschäftsmäßig): Ist der zu sprechen? Ich könnte ihm kurz mein Sortiment vorstellen. Da bekommt er viel Wein für sein Geld.

Georgio (schüttelt den Kopf): Der ist samstags nie da. Musst du es am Dienstag wieder versuchen. Am besten vormittags ab elf. (Er hält ihm wieder die Flasche hin) Soll ich sie nun öffnen oder ist dir der Preis zu hoch? (mit Blick auf Tatjana gerichtet) Für eine schöne Frau sollte kein Preis zu hoch sein.

Frank: Los! Mach endlich auf, damit wir nicht verdursten.

Georgio (öffnet die Flasche und schenkt Frank einen Verkostungsschluck ein): Wo habt ihr euch kennen gelernt?

Frank (schwenkt das Weinglas, schnüffelt, nimmt schlürfend einen Schluck): Sehr gut.

Tatjana: Auf einer Weinprobe von Frank. Ich war dort mit meinen deutschen Eltern, ich meine die Eltern von den Kindern, wo ich Au-pair-Mädchen bin.

Georgio (schlägt Frank lachend auf die Schulter): Das sieht Frankie ähnlich, erst füllt er die Frauen ab, danach zergelt er sie ins Bett.

Frank (schaut pikiert).

Georgio: Nichts für ungut, Alter. So was würde Frankie natürlich nie tun, nicht wahr?

Frank: Nein, ganz bestimmt nicht. Im Gegensatz zu dir.

Georgio (ermahnend): Verbreite nicht solche Gerüchte. Ich bin verheiratet. (betont) Glücklich verheiratet, seit einundzwanzig Jahren. Meistens bin ich jedenfalls glücklich. Besonders, wenn ich in Ruhe schreiben kann.

Frank: So, so. Deine sexuellen Ausflüge beschränken sich nur auf die Literatur.

Georgio: Frankie, Frankie. Da hat wohl jemand in meinem Manuskript geschnüffelt.

Frank: Wenn das offen rumliegt…

Georgio: Normalerweise mag ich das nicht. Aber gut, du bist mein bester Freund (stößt ihn in die Seite) Hat’s dir gefallen?

Frank (grinsend): Besonders die Tomatenszene.

Georgio: Ist sie nicht ein wenig zu …, zu anzüglich? Was hast du gefühlt?

Frank: Es hat mich sehr angesprochen.

Georgio (bohrend): Angemacht?

Frank (hartnäckig): Angesprochen.

Georgio (reibt sich die Hände): Das ist wahre Dichterkunst. Nicht so wie Brecht, Distanz erzeugen, kritisches Beobachten. Nein, wahre Dichterkunst muss den Leser fesseln, leidenschaftlich mitreißen. Wenn mir das mit der Tomatenszene geglückt ist, bin ich mehr als zufrieden. Es stimmt mich regelrecht glücklich. Frankie, du hast das richtig an dich herangelassen. Das muss doch auch einen Lektor begeistern. (blickt auf seine Armbanduhr). Scheiße, noch lange kein Schluss. Wie gern würde ich jetzt an meinem Schreibtisch sitzen und die Geschichte zur Vollendung bringen. Ein kritischer Dialog bringt einen doch immer weiter.

Frank (unsensibel): Dann sieh mal zu, dass du mit unserer Bestellung schnell in die Küche kommst, umso eher das Essen auf dem Tisch steht, umso schneller sind die Gäste wieder weg.

Georgio froh gestimmt ab.

Tatjana: Von welcher Szene habt ihr geredet?

Frank: Nichts Wichtiges.

Tatjana: Ich glaube, für Georgio ist es sehr wichtig.

Frank: Er hat genauso wenig Talent zum Schreiben wie ich zum Aktienhandel.

Tatjana: Das verstehe ich nicht. Warum schreibt er denn?

Frank: Weil er’s für sich braucht. Nicht, weil andere es brauchen. Er braucht es aus rein egoistischen Gründen. Es turnt ihn an. So hat eben jeder seine Schwäche. Mich begeistern Aktienkurse, dieses Gefühl, ich könnte mit einem riskanten Geschäft möglichst schnell das große Geld machen. Dieser Kick macht das Leben spannend. Ähnlich geht’s wohl Georgio beim Schreiben.

Tatjana: Ich habe keine Begabung. Ich kann nicht schreiben. Nicht in Deutsch und in Russisch auch nicht.

Frank (streichelt liebevoll ihre Wange): Red kein Quatsch, Liebling. Natürlich hast du eine Begabung, mehrere sogar. Schau, du sprichst zwei Sprachen fließend, alles, was du kochst, schmeckt hervorragend, du hast einen guten Draht zu Kindern und bestimmt noch viele andere Talente, die du mir bislang noch verschweigst.

Tatjana (kindlich): Wenn du meinst.

Georgio kommt mit zwei Tellern und serviert den ersten Gang.

Georgio: Lasst es euch schmecken.

Tatjana: Danke. Guten Appetit.

Frank: Guten Appetit, mein Schatz.

Georgio ab. Tatjana und Frank essen. Sie prosten sich zu.

Tatjana: Ich habe eine Frage.

Frank: Frag mich.

Tatjana: Wie ist das Tomatenszene?

Frank: Die Szene. Es heißt die Szene.

Tatjana (lächelnd): Mein Deutsch ist noch nicht perfekt. Wie ist (betont) die Tomatenszene?

Frank: Das mochte ich Georgio nicht so direkt sagen. Zwei Liebende wälzen sich in Tomaten. Das ist alles.

Tatjana: In einem Restaurant?

Frank: Mag sein. Oder eine Gemüsehalle, ein Supermarkt, ein Marktstand. Irgendwo, wo es Tomaten in Massen gibt.

Georgio kommt und bringt den nächsten Gang.

Georgio: Voilà, die Herrschaften. Zander im Kartoffelmantel.

Tatjana: Hhm. Sieht gut aus.

Georgio (charmant, streicht ihr mit der Hand durchs Haar): Ein schönes Essen für eine schöne Frau.

Frank: Bagger meine Frau nicht an.

Georgio: Oh, Frankie. Was denkst du von mir?

Frank: Ich hab’ was von dir gelesen. Da lässt sich eins und eins schnell zusammenzählen.

Georgio (blinzelt Tatjana zu): Nichts darf ich. Auch nicht einer schönen Frau Komplimente machen. (ab)

Tatjana: Sie haben in den Tomaten miteinander geschlafen?

Frank (leicht säuerlich): Ist doch egal. Da ist Georgios Phantasie mit ihm durchgegangen.

Tatjana: Ist trotzdem eine interessante Variante.

Frank: Kann sein.

Tatjana (steht auf): Ich muss zur Toilette.

Tatjana verlässt den Raum. Frank studiert das Flaschenetikett, sieht auf die Uhr, nimmt etwas Brot, trinkt, sieht wieder auf die Uhr, trommelt mit den Fingerkuppen auf den Tisch.

Frank (murmelnd): Dass Frauen auf der Toilette immer so lange brauchen. Gleich hab’ ich den teuren Wein allein ausgetrunken. (gießt nach)

Es vergeht eine Zeit. Tatjana kehrt zurück an ihren Platz.

Frank: Hat ja lange gedauert.

Tatjana: So?

Frank: Find ich. Da haben Männer wahrscheinlich ein anderes Zeitempfinden, beim Toilettenbesuch.

Tatjana (überheblich): Hose auf, Schwanz raus, pinkeln, Hose zu und ab. Hände waschen Männer danach nie.

Frank (entrüstet): Ich schon. Ich bin nicht so ein Schwein.

Tatjana beugt sich zu ihm hinüber und gibt ihm einen Kuss auf die Wange: Du natürlich nicht. Das weiß ich.

Frank (streicht ihr über das Haar, findet etwas, hält es hoch, verwundert): Was hast du denn in den Haaren. Sieht aus wie eine Möhre, ein Stückchen Möhre. (steckt es in den Mund) Das ist eine Möhre. Wie kommt die Möhre in dein Haar? (stockt) Tatjana, wieso hast du eine Möhre in deinem Haar?

Tatjana (selbstbewusst): Ich war kurz bei Georgio in der Küche.

Frank: Tatjana, was habt ihr da gemacht?

Sie schweigt und blickt verlegen nach unten. Georgio kommt und räumt das Geschirr zusammen.

Frank: Georgio, was habt ihr in der Küche getan.

Georgio schweigt.

Frank (springt auf, fast hysterisch): Gebt es zu! Ihr habt die Tomatenszene geprobt!

Georgio und Tatjana wechseln Blicke. Frank fällt auf die Knie, vergräbt das Gesicht in den Händen.

Frank (schluchzend): Du hast Tomate im Haar. Ich bin so maßlos enttäuscht. So enttäuscht. Mein bester Freund, meine geliebte Frau hintergehen mich. Das Leben ist so gemein zu mir. Warum nur? Warum immer ich, immer ich.

Georgio (klopft Frank auf die Schulter): Nun spinn mal hier nicht rum, Frankie!

Frank (reißt sich los, zieht eine Pistole aus der Tasche, setzt sie sich an den Kopf, hysterisch): Ich hab’ zum Leben kein Talent. Ich mach’ Schluss!

Georgio (versucht, das Schlimmste abzuwenden, versöhnlich): Eine Frau aus Kasachstan würde ihren Mann nie betrügen. Carla sagt auch immer, an den Ausländern können sich die Deutschen eine Scheibe abschneiden. Besonders die osteuropäischen Frauen halten sehr viel von Treue. Stimmt’s Tatjana?

Tatjana erschrocken, nickt.

Frank: Ich glaub’ euch kein Wort. Ich schieß jetzt. (hält sich die Pistole an die Schläfe, lässt nach einem Moment wieder sinken)

Georgio: Denk mal nach, du kannst doch Tatjana nicht unterstellen, dass sie mit jedem Mann, mit dem sie ein paar Minuten allein ist, sofort schläft. Dann müsste sie ja auch mit Paul (mustert Tatjana eindringlich, kurze Pause). Woher hast du überhaupt die Pistole.

Frank (heulend): Ist doch egal! Ich ahnte es. Ich habe es geahnt. Tatjana, warum tust du mir das an? Du hast also auch mit Paul. Einem Pubertierenden (setzt sich wieder die Pistole an den Kopf, drückt ab, es klickt). Geht nicht. Ich habe keine Begabung für den Freitod. (hält Georgio die Pistole hin) Komm, du bist mein Freund. Bring’ mich um, tu es für mich. Nur diesen einen Wunsch musst du mir erfüllen!

Aufschrei von Tatjana. Georgio wehrt entsetzt ab.

Georgio: Bist du verrückt. Steck sofort das Ding wieder ein.

Frank (geht mit auf Georgio zu, die Pistole auf ihn gerichtet): Na schön, dann knall ich einfach dich ab. Mord im Affekt aus Eifersucht. Ich bin nur vermindert schuldfähig. Wie viele Jahre gibt das? Sieben, acht? Bei guter Führung bin ich nach fünf Jahren wieder draußen.

Georgio (ängstlich): Mach dich nicht unglücklich!

Frank (lacht höhnisch): Unglücklich? Ich bin es bereits. Ich muss mich nicht mehr unglücklich machen. Ich bin noch nie unglücklicher gewesen.

Tatjana (flehend): Bitte Frank. Sei vernünftig. Denk an unsere Zukunft!

Frank: Meine Zukunft habt ihr mir versaut. Ich hab’s, erst erschieß’ ich euch beide, danach mich. Das sorgt für Schlagzeilen. Die Journalisten lieben spektakuläre Storys, genauso wie die Theaterkritiker schlechte Theaterstücke lieben, solche, wo sie so richtig drüber herfallen können (zielt mit der Pistole auf Tatjana). Adieu, Geliebte.

Frank reißt den Arm nach oben, schießt in die Luft, es knallt.

Er pustet in den Pistolenrauch, grinst und stellt trocken fest: Schreckschusspistole. Lauter als ’ne echte. Na, wie war ich?

Tatjana und Georgio sehen sich ratlos an.

Frank: Nun sagt schon, hat euch die Nummer gefallen.

Georgio (verständnislos): Welche Nummer?

Frank: Sei doch nicht so schwer von Begriff. Ich meine natürlich meine schauspielerische Darbietung von eben. Ich war gut, oder?

Goergio (stotternd): Das war eine schauspielerische Einlage. Du meinst, du meinst, du hast das inszeniert.

Frank (nickt stolz): Eine kleine Kostprobe. Ich werde morgen vorsprechen. In den Kammerspielen ist Vorsprechtag, nur eine kleine Rolle. Aber es ist ein Anfang. Nun ja, zugegeben, ich bin nicht mehr der Jüngste. Andere stehen mit achtzehn auf der Bühne. Dieses Kribbeln, ich meine, das Lampenfieber, das ich bei den Börsenkursen habe, müsste ich auch auf der Bühne haben.

Georgio (immer noch sichtlich verwirrt): Klar. Klar. (stockt) Den Kick kriegst du auf der Bühne. Hat den Vorteil, dass du dich wenigstens nicht finanziell ruinierst, sondern Kohle für deinen Auftritt bekommst.

Frank (nimmt Tatjana in den Arm, küsst sie, nimmt Georgio in den Arm und küsst auch ihn): Ja. Stellt euch vor, eines Tages bin ich ein gefeierter Star, gebe ständig Fernsehinterviews, Filmangebote, vielleicht sogar Hollywood, ja genau, Hollywood wär‘ echt stark. (an Tatjana gerichtet) Schatz, könntest du dir vorstellen in den USA zu leben? Bei deinem Sprachtalent wäre das überhaupt kein Problem, in Null Komma nichts hättest du Englisch gelernt. Mein Schulenglisch müsste natürlich aufgefrischt werden. Ist etwas eingerostet die letzten Jahre. Was interessiert mich da ein Stückchen Tomate in deinem Haar?

Tatjana (erleichtert): Ja, nur eine kleine Tomate (lacht). Wir haben nur ein bisschen Quatsch gemacht, in der Küche. Der Georgio und ich.

Georgio (lacht ebenso): Genau. Erst habe ich ein Stückchen Paprika geworfen. Dann hat Tatjana, ein Stückchen Zwiebel geworfen.

Tatjana: Und der Georgio, der Georgio nimmt eine Tomate …

Georgio (eifrig): Da ist ein Stückchen in Tatjana Haar hängen geblieben. Nicht wahr, Tatjana?

Frank (naiv): Ja, wenn das alles war? Ich habe nie daran gezweifelt. Es war für mich eben nur ein willkommener Anlass, euch mal mein schauspielerisches Talent vorzustellen. Wegen meiner Zukunft in Amerika.

Georgio (klopft ihm anerkennend auf die Schulter): Ja, das ist dir wahrhaft geglückt.

Frank: Ich war überzeugend.

Georgio: Mehr als überzeugend. Ich hab‘ dich quasi gar nicht wiedererkannt.

Frank: Sehr gut. So soll das sein.

Georgio: In Amerika gibt es übrigens hervorragende Ärzte.

Frank: Wieso?

Georgio: Ich mein‘ ja nur. Falls dir mal was fehlt. Herzschmerzen und was du sonst manchmal hast.

Frank (fasst sich ans Herz): Richtig. Das ist ein weiteres Argument für Hollywood.

Georgio holt drei Sektgläser, öffnet eine Flasche, schenkt ein und gibt jedem ein Glas.

Georgio (feierlich): Trinken wir darauf, dass wir das Glück haben, mit wahren Talenten ausgestattet zu sein. Trinken wir auf die Talente.

Sie heben die Gläser.

Tatjana, Frank und Georgio im Chor: Auf die Talente! (sie stoßen an)

Vorhang fällt.